

«Im Grund unseres Herzens leben wir in Höhlen»
Diese Problematik erörterten Bernd-Claas Gesterkamp aus der Sicht des Immobilienmarketings und Arne Hülsmann für die Lichtplaner.
Viele Menschen haben ein gefestigtes Bild zu Immobilien und zu Marketing. Wie ist die Kombination zu verstehen?
Bernd-Claas Gesterkamp: Immobilienmarketing, so, wie wir es verstehen, ist der Dialog zwischen einem Eigentümer und einem Nutzer über eine optimal genutzte Immobilie. In einer idealen Welt erreicht der Eigentümer seine wirtschaftlichen Ziele, und der Nutzer findet seine Wünsche absolut abgebildet. Immobilienmarketing kann hier die Rolle eines Moderators übernehmen.
Arne Hülsmann: Erzählen Immobilien Geschichten?
BCG: Absolut. Je tiefer man sich mit dem gestalterischen, historischen oder technischen Potenzial einer Immobilie beschäftigt, desto eher findet man wertvolle Qualitäten, die dem Nutzer Vorteile bringen und somit dem Eigentümer wichtig sind. Bindet man noch die Umgebung ein, entsteht schnell ein Fächer an Themen.
Wenn ich das richtig verstehe, dann kann Immobilienmarketing am Ende eines Planungsprozesses oder bei einem Wandel der Architekturnutzung stehen. Wie sieht das bei der Lichtplanung aus?
AH: Die massgeblichen Planungsimpulse mit Schwerpunkt Tageslicht erfolgen in der Regel in den frühen Planungsphasen. Wenn man sich fragt, WER eigentlich normalerweise WANN Tageslicht plant, dann legt in der Regel der Architekt in den frühen Planungsphasen nahezu alles fest, was das Tageslicht massgeblich beeinflusst. Das sind die Kubatur mit ihrer Ausrichtung, das Nutzungsschema des Gebäudes und welche Nutzung wo angeordnet wird. Er bestimmt neben der Erscheinung des Gebäudes auch über die Fassade massgeblich, wie sich das Gebäude zur Aussenwelt und damit zum Tageslicht öffnet. Daher sind die frühen Leistungsphasen für diese Disziplin so immens wichtig.
BCG: Und diese Planungsleistung ist ein wichtiger Baustein der Architekturwahrnehmung. Was ist der erste Eindruck, wenn wir einen Raum betreten? Licht, Dimensionen, Oberflächen …
AH: Machen wir uns nichts vor, Tageslicht wird kein «krankes» Gebäude «heilen». Aber Tageslicht ist die Qualität, an der wir uns tagsüber orientieren, als Lichtquelle, als Informations- und Impulsgeber. Diese Verbindung teilt uns Informationen über Wetter, Jahreszeiten und Natur mit. Bedauerlicherweise bekommen wir, weil die Impulse zur Tageslichtplanung in den sehr frühen Leistungsphasen stattfinden, selten langfristiges Feedback vom Nutzer.
Dabei ist dieses doch so wichtig! Aus der Erfahrung im Immobilienmarketing: Was prägt einen Raum?
BCG: Die Raumwirkung wird in der Regel durch den ersten Eindruck geprägt. Und hier kommt dem Tageslicht, auch der Wirkung von direktem Sonnenlicht, eine wichtige Funktion zu. Allen Bauwerken sollte doch gemein sein, das es Menschen sind, die sie nutzen. Deren Wohlbefinden sollte also im Mittelpunkt allen Tuns stehen.
Würden Sie sagen, Tageslicht ist Luxus?
AH: Den Eindruck kann man gewinnen, wenn man vordergründig schaut. Tageslichtdurchflutete Architektur suggeriert über selbstbewusst grosse Fenster einen ausreichend grossen Abstand zum Nachbarn. Es gibt aber auch ganz wichtige Projekte, bei denen die Architektur im sozialen Wohnungsbau, in Schulprojekten oder zum Thema Arbeiten durch das Thema Tageslicht aufgeladen worden ist. Tageslicht ist ein Grundnahrungsmittel, und zu diesem sollte der Zugang «niedrigschwellig» sein.
BCG: Tageslicht sollte auf keinen Fall zu einem Luxusartikel werden. Oder sagen wir, es darf keiner sein/werden. Licht, Luft und Wasser sind Selbstverständlichkeiten. Aber auch hier gilt, dass Verknappung die Nachfrage beschleunigt.
AH: Einen Zielkonflikt, den wir bei aktueller Planung oft wahrnehmen, ist, dass gewohnte Architektur- und Fassadenkonzepte bei der aktuellen Verdichtung nicht mehr zwangsläufig die gewünschten Tageslichteinträge oder -wirkungen liefern. Wenn immer dichter gebaut wird, müssten die Fenster immer grösser und die Gläser immer transparenter werden, um dies aufzufangen. Bei nachträglichen Fassadensanierungen (z.B. WDVS etc.) müssten die Fenster eigentlich doppelt so gross werden, um die Reduzierung der Tageslichtmenge durch dickere Wände, tiefere Leibungen o.ä. auszugleichen. In der Regel ist das nicht der Fall.
BCG: Dabei wird Tageslicht, anders als Energie oder Strahlung, in der Regel extrem positiv aufgenommen. Immobilien mit einer guten Tageslichtversorgung und Räumen, in denen man sich wohlfühlen kann, erzählen freundlichere Geschichten und lassen sich leichter inszenieren.
AH: Und nicht nur das. Menschen halten sich heute so lange in Innenräumen auf wie nie zuvor. Bei einigen geschieht das aus eigener Entscheidung, bei anderen, weil sie nicht mehr anders können. Eine wichtige gesellschaftliche Antwort, welche die Architektur liefern kann, ist doch, eine ausreichende Tageslichtversorgung sicherzustellen.
BCG: Dazu kommt eben auch, dass diese Innenräume meist automatisch hell, freundlich und offen wirken.
AH: Ja, in der Regel sind die Antworten, wenn die Architektur einen Lösungsansatz zulässt, schnell gefunden: Fassadenöffnungen sollten entsprechend ihres Tageslichteintrags ausgelegt werden, Glasqualitäten sind zum Wohl der Menschen auszulegen, die in den Räumen arbeiten. Je nach Architektur und Nutzung kann der Einsatz von Oberlichtsystemen (z.B. Dachflächenfenster) Tageslicht tief in den Innenraum einleiten. Zwar ist die Sichtverbindung damit nicht immer gegeben, der Wirkungsgrad von Oberlichtsystemen ist jedoch bei weitem grösser als bei vertikalen Fensterelementen.
Wie muss man sich das mit dem Tageslicht jetzt vorstellen? Gilt hier vor allem «viel hilft viel»?
AH: Bei der Planung mit Tageslicht gilt es vor allem den Tageslicht- gegen den Energieeintrag abzuwägen. Es beschwert sich kaum ein Mensch über zu viel Tageslicht. Probleme bereiten eher die damit einhergehende Erwärmung der Innenräume und Blendung durch zu hohe Kontraste. Zuviel Tageslicht kann in den Bereichen Museum und Shopping Probleme bereiten. Hier gilt es noch extremer abzuwägen. Aber bei herkömmlicher Nutzung ist ein Zuviel an Tageslicht leider selten. In der Regel sind die Fenster zu klein, die Fassaden zu dicht, die bauliche Dichte zu hoch.
BCG: Bedeutet das, dass bestimmte Innenräume gar nicht ausreichend Tageslicht bekommen können?
AH: Das ist richtig. Für jede Art von Architektur gibt es einen Punkt, an dem man sie nicht weiter verdichten kann. Ein sensibler Umgang mit dem Umfeld, der Nachbarschaft, Sichtachsen, Ausblicken etc. hilft in der Regel schon, die grössten Fehler zu vermeiden.
BCG: Und das sind dann auch wieder die Punkte, die eine «Geschichte» erzählen, wenn Architektur denn Dialog mit dem Umfeld aufnimmt.
Ist der Umgang mit Tageslicht nicht auch baurechtlich geregelt?
AH: In der Schweiz, vergleichbar mit Deutschland, ist in der Bauverordnung einzelner Kantone zwar eine ausreichende Belichtung gefordert. Wie diese zu erfolgen hat, das überlässt die Verordnung den privatrechtlichen Vereinbarungen zwischen den Planungspartnern. Darüber hinaus gibt es in der Arbeitsstättenrichtlinie den Hinweis auf eine ausreichende Tageslichtversorgung. Die Normung hat bislang relativ geringe Werte für eine Tageslichtversorgung empfohlen oder gefordert. In der voraussichtlich im Juni 2019 erscheinenden SN EN 17037 werden neben höheren Werten für eine Tageslichtversorgung eben auch flächigere Ansätze empfohlen. Darüber hinaus gibt es noch andere Parameter, die in der Norm abgefragt werden, wie Besonnung, Ausblick und ausreichender Schutz vor Blendung.
Hört sich kompliziert an. Wie kann die Kommunikation über das Thema Tageslicht verbessert werden? Wie kann die Marke «Tageslicht» aus dem Bereich von Luxus oder Notwendigkeit in den Bereich der Selbstverständlichkeit und Qualität gehoben werden?
BCG: Das ist einfach und anspruchsvoll zugleich. Die postmoderne Zeit, in der wir leben, sehnt sich nach Singularitäten (Buchtipp: Andreas Reckwitz: «Die Gesellschaft der Singularitäten», Suhrkamp, 2017). Das bedeutet: Alles soll besonders sein. Alle trachten danach, sich abzuheben. Das Thema Tageslicht ist wie geschaffen dafür. Dennoch ist auch hier Überzeugungsarbeit notwendig. Als Experten bemühen wir uns, in den jeweiligen Projekten eine Lust am Umgang mit Tageslicht zu wecken. Erst wenn diese Lust entsteht, kann im jeweiligen Projekt eine Leichtigkeit und Anmutung entstehen, die dieses Thema in eine Selbstverständlichkeit überträgt.
AH: Tageslicht im architektonischen Planungsprozess ist zunächst eine gestalterische Grösse, mit der der Architekt gerne und bewusst «spielt». Hier greifen wir gerne das Stichwort der Lust auf – auch wenn Planungssituationen in der Regel wirtschaftlich getrieben sind. Tageslicht muss Spass machen und gut aussehen! Es geht bei Architektur aber auch um Wohnkomfort, das Einsparen von Primärenergie und den Schutz vor äusseren Lasten und Energieverlusten. Bei diesem «Spiel» droht das Thema Tageslicht in der Priorität abzurutschen. Es fehlt ein «Vermarktungswert Tageslicht». Dabei macht es bei der Wahrnehmung von Innenräumen doch einen starken Unterschied, ob eine «gute Tageslichtsituation» besteht oder nicht.
BCG: Auf jeden Fall wird es einen solchen Wert geben. Wenn man sich umhört und umsieht, dann lassen sich tageslichtdurchflutete Gebäude besser vermarkten als geschlossene «Kisten».
AH: Nur lassen sich zu den frühen Planungsphasen solche Wahrheiten schwer vermitteln.
Wie würden Sie den Begriff «Indoor Generation» aufgreifen? Welchen Paradigmenwechsel würden Sie in der aktuellen Wahrnehmung von Architektur ausmachen?
AH: Der Begriff «Indoor Generation» sensibilisiert für den Fakt, dass der Mensch sich (in Industrienationen) immer länger und häufiger in geschlossenen Innenräumen aufhält, und das aus gesellschaftlichen, sozialen oder medizinischen Gründen. Hierauf geht die Tageslichtplanung ein und gibt Planungsimpulse für mehr Tageslicht.
BCG: Das Immobilienmarketing reagiert in der Regel im Markt auf «Strömungen» wie diese. Wenn Themen wie Wohngesundheit, neues Arbeiten und Erlebniswelten adressiert werden können, dann ist Immobilienmarketing ein Weg, dies umzusetzen.
AH: Wenn das Bewusstsein für Themen wie Tageslichtplanung geschaffen ist, dann wird sich dies auch im Markt bemerkbar machen. Es wäre naiv, zu glauben, dass ein Appell für mehr Tageslicht dazu führen wird, dass die Menschen sich sofort und länger im Freien aufhalten werden. Eine gute Tageslichtplanung kann aber bestimmte Aspekte des Tageslichts und der Tageslichtwirkung ins Gebäude hineinholen und somit einen positiven Beitrag zum Wohlbefinden des Menschen liefern.
Wenn Sie sich die Welt machen könnten, wie Sie wollten: Was würden Sie im Architekturdialog ändern?
BCG: Es wäre schön, wenn unser Schulsystem frühzeitig den Sinn für Ästhetik in unserer Umwelt stärken würde. Wenn Sie in Deutschland durch eine beliebige Stadt fahren, nehmen Sie fast ausschliesslich formalen Unsinn wahr. Auch der Umgang mit Plätzen, Vorgärten und öffentlichem Raum ist bei uns sehr lieblos. Wir leben im Grund unseres Herzens immer noch in Höhlen. Die Landschaft und ihr Erscheinungsbild fechten uns nicht an. Glücklicherweise unterliegt auch unsere Gesellschaft einem vitalen Wandlungsprozess. Ich glaube, die kommenden Generationen werden hier empathischer sein als die aktuelle, die noch unter den Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs steht. Um Ihre Anfangsfrage zu beantworten: Immobilienmarketing findet statt, wenn ein Anbieter mit einem Nachfrager über ein Produkt spricht. Gutes Immobilienmarketing, wie wir es anstreben, destilliert die Qualitäten eines Projekts, um damit den Kunden zu überzeugen. Tageslicht ist eine davon. Arne Hülsmann steht in unserem Netzwerk für dieses Thema.
AH: Gemeinsam mit den Architekten, gemeinsam mit gleichgesinnten Fachrichtungen in der Haustechnik oder dem Immobilienmarketing arbeiten wir daran, die Bauherrschaft von der Notwendigkeit von mehr Tageslicht zu überzeugen. Wir sind überzeugt davon, dass eine gute, sinnvolle und sinnliche Tageslichtplanung den Nutzer und die Nutzung stark positiv beeinflusst. Dazu ist es wichtig, dass wir in den frühen Leistungsphasen zu den Projekten stossen können. Hier ist aber noch Überzeugungsarbeit zu leisten – und an der Ausbildung der jungen Architektinnen und Architekten zu arbeiten. In verschiedenen Hochschulen «werben» wir für die Qualität von Tageslicht und die Lust am Arbeiten mit Tageslicht. Wenn die Stadtplaner und Architekten sich dieser Qualität, neben vielen anderen Notwendigkeiten, wieder verstärkt bewusst werden, ist viel erreicht. ●