Bauen für die Gesundheit – Im Fokus steht der Mensch

Idee über den gesamten Planungs- und Bauprozess bis zur Übergabe an das Facility Management arbeiten die Architekten, Ingenieuren und Betriebsorganisationsplaner spezifische Lösungen mit den relevanten Stakeholdern aus.

Michael Gräfensteiner
Dipl. Arch HTL SIA Michael Gräfensteiner: «Es bedarf eines gezielten Prozessmanagements, das massgeblich zur kontinuierlichen Verbesserung der gelebten Prozesse beiträgt.»
Michael Gräfensteiner, Dipl. Arch HTL SIA und Geschäftsführer ATP Zürich, äussert sich zur Integralen Planung im Gesundheitswesen.
Von Uwe Guntern (Redaktion), ATP (Portraitfotos Interview) und Kurt Kuball (Projektfotos Interview)Das Büro ATP architekten ingenieure ist einer der Pioniere für Integrale Planung im Gesundheitswesen. Von der ersten Idee über den gesamten Planungs- und Bauprozess bis zur Übergabe an das Facility Management arbeiten die Architekten, Ingenieuren und Betriebsorganisationsplaner spezifische Lösungen mit den relevanten Stakeholdern aus. Hierbei werden sämtliche Aspekte des nachhaltigen Bauens im Gesundheitswesen berücksichtigt. Wir wollten von Michael Gräfensteiner, Dipl. Arch HTL SIA und Geschäftsführer von ATP Zürich, mehr darüber wissen. Michael Gräfensteiner, welches Ziel verfolgt ATP bei der Planung von Gesundheitsbauten?
Michael Gräfensteiner: Die Haltung von ATP ist stets nutzerorientiert. Für uns ist das Wichtigste, dass wir ein reibungsloses Arbeiten des Klinikpersonals sicherstellen und eine rasche Genesung der Patienten ermöglichen. Sowohl bei Neubauten als auch bei Massnahmen im Bestand haben wir die Bedarfsermittlung der unterschiedlichen Nutzergruppen und die Bauherren- und Nutzerperspektiven stets im Blick. Bereits im Vorfeld der Planung unterstützen wir daher potenzielle Auftraggeber im Gesundheitswesen bei der Beurteilung, ob eine mögliche bauliche Massnahme den Kernprozess des Gebäudes (Krankenhaus, Seniorenresidenz usw.) unterstützt. Erst nach Transformation der unternehmerischen Vision in eine umsetzbare Projektstrategie kann die Bestellqualität auf Basis einer dokumentierten Strategie- und Machbarkeitsplanung definiert werden. Während des Planungsprozesses ist es uns wichtig, den Bauherrn mit den wesentlichen Stakeholdern in allen Überlegungen zu begleiten. Im gemeinsamen Dialog entwickeln wir eine zukunftsorientierte sowie eine räumlich, funktional und organisatorisch optimale Infrastruktur. Daraus leiten wir die Ziel- und Masterplanung für die Errichtung und den Betrieb ab. In der weiteren planerischen Umsetzung arbeitet ATP mit einer Lebenszyklus-orientierten, BIM-unterstützten Integralen Planung, die auf eine nachhaltige Nutzungsperiode ausgerichtet ist. In Zusammenarbeit mit unseren D & R Studios (Design & Research) sowie mit der Forschungsgesellschaft ATP sustain fliessen aktuelle Erkenntnisse der systemischen und technologischen Entwicklung in unseren Planungsprozess mit ein. Welche Rolle spielt der Mensch in den Planungsprojekten?
Gräfensteiner: Im Fokus steht immer der Mensch. Der Patient. Das Personal. Und die Besucher. Die Zufriedenheit und die Begeisterung der Nutzer sind für uns wesentliche Parameter exzellenter Bauten im Gesundheitswesen. Zuerst wollen wir immer die Ansprüche all jener Menschen verstehen, die in einem Gebäude im Gesundheitsbereich regelmässig arbeiten, um anschliessend die passende Lösung abzuleiten. In Zusammenarbeit mit den Stakeholdern hinterfragen wir bestehende Konzepte, bringen unser Wissen ein und schaffen neue Freiräume. Durch unsere kooperative Planungskultur können wir die Vorteile der Planungsmethode BIM (Building Information Modeling) vollständig ausschöpfen. Durch den verbesserten Datenabgleich wird die Produktivität des Planungsprozesses hinsichtlich Kosten, Terminen und Qualität massgeblich gesteigert. Das virtuelle Datenmodell des Gebäudes wird zum «digitalen Zwilling», den wir dem Nutzer nach Fertigstellung für das Facility Management «as built» übergeben.

«Flexible Raumkonzepte ermöglichen Nutzungsvielfalt und Wachstum.» Michael Gräfensteiner

Wie entsteht ein erfolgreiches Haus im Gesundheitswesen?
Gräfensteiner: Der wirtschaftliche Erfolg und die Leistungsfähigkeit eines beispielsweise modernen Spitals werden massgeblich durch ein koordiniertes Zusammenwirken aller für die Versorgung von Patienten relevanten Prozesse bestimmt. Voraussetzung sind unter anderem flexible und schnelle Entscheidungsstrukturen, Transparenz in den vertikalen und horizontalen Entscheidungsprozessen sowie klar definierte und kommunizierte strategische Ziele. Ausserdem bedarf es eines gezielten Prozessmanagements, das massgeblich zur kontinuierlichen Verbesserung der gelebten Prozesse beiträgt.

Das Gesundheitswesen entwickelt sich medizinisch und technisch ständig weiter. Ebenso die ökonomischen Rahmenbedingungen. Was garantiert den Mehrwert eines Gebäudes in diesem Bereich?
Gräfensteiner: Nur mit Weitblick und Erfahrung gelingt eine zukunftsfähige und nachhaltige Architektur. Flexible Raumkonzepte ermöglichen Nutzungsvielfalt und Wachstum. Exzellentes Wissen über die komplexen vernetzten Prozesse und den hohen Technisierungsgrad eines Krankenhauses fliessen bei uns in jeden integralen Planungsprozess mit ein. So entwickeln wir nachhaltige Lösungen und berücksichtigen dabei die hohen Anforderungen an Reinräume, Labors, Nuklearmedizin, Radiologie, OPs, Grossküchen usw. Erfahrung und Planungskompetenz schaffen so jenen Mehrwert, der den Erfolg eines Gesundheitsgebäudes auch langfristig sichert.

Welchen Einfluss hat die Funktionalität der Raumkonzepte im Gesundheitswesen?
Gräfensteiner: Als Architekten und Ingenieure haben wir den Ehrgeiz, funktionale Prozesse perfekt und ästhetisch in der Gebäudestruktur abzubilden. So wichtig funktionale Raumkonzepte sind, ist es mindestens so wichtig, positive und gesundheitsfördernde Raumerlebnisse zu generieren. Unsere Überzeugung ist, dass eine ästhetisch qualitätsvolle Architektur die Heilung der Patienten optimal unterstützen kann. Sie fördert die Qualität menschlicher Interaktionen, erhöht das Wohlbefinden und schafft einen Raum hoher Identifikation und Leistungsbereitschaft. Dabei greifen wir auf wissenschaftlich erwiesene Aspekte des «Evidence-based Designs» zurück. Diesen Anspruch stellen wir an unsere Lösungen – bei Neubauten ebenso wie bei Um- und Erweiterungsbauten, auch im laufenden Betrieb oder bei Bauten, die unter Denkmalschutz stehen.

Seniorengerechtes Wohnen gewinnt immer mehr an Bedeutung, wie sehen Sie diesen Trend?
Gräfensteiner: Die Alterspyramide verrät uns, dass die deutschsprachige Bevölkerungsstruktur zunehmend älter wird. Daraus leitet sich eine steigende Bedeutung von seniorengerechtem Wohnen sowie der Bedarf an entsprechenden architektonischen und lichttechnischen Lösungen für unsere Gesellschaft ab. Schauen wir uns dies beispielhaft am Thema Licht im Wohnbereich an. Jeder Mensch verfügt über eine innere Uhr. Diese steuert unsere Hormone (Serotonin und Melatonin), die täglich unsere innere Aktivierung verantworten. Tageslicht und hohe vertikale Helligkeiten mit hohem Blau-Anteil regen die Produktion von Serotonin an, das unsere Antriebskraft steigert und unser Wohlbefinden positiv beeinflusst. Dieses kann am Abend mit den natürlichen warmen Lichtspektren in das sogenannte Schlafhormon Melatonin umgewandelt werden und steuert unsere Schlafqualität und somit unsere Regenerationsphase. Wenn unser circadiane Rhythmus durch die falschen Lichtspektren gestört wird, hat dies nicht nur grosse Auswirkungen auf unsere Stimmung, Wahrnehmung und unseren Schlaf, sondern auch auf unser Herz-, Kreislauf-, Stoffwechsel-, Verdauungs- sowie Immunsystem. Etwa zwei Stunden bevor Menschen zu Bett gehen bis zu dem Zeitpunkt, an dem diese aufstehen, sollte kein Licht mit hohen Blauanteilen benutzt werden. Doch nicht nur dieses allgemeingültige Wissen ist bei der Planung von Räumen für alte Menschen zu berücksichtigen. Auch visuelle Veränderungen sollten in den Lichtlösungen eine Rolle spielen. Hierzu zählen beispielsweise die Abnahme der Sehschärfe, die Linsentrübung, eine höhere Blendungsempfindlichkeit, eine geringere Kontrastwahrnehmung, eine Verschlechterung der Farbwahrnehmung oder auch eine verzögerte Adaptation von hell zu dunkel. Als Faustregel gilt, dass ältere Menschen etwa vier- bis achtmal mehr Licht benötigen, um Details gut sehen zu können, gut zu schlafen und somit am Tag gut gelaunt und aktiv zu sein. Es muss ebenfalls auf eine gleichmässige und insbesondere blendfreie Beleuchtung geachtet werden, damit sich Menschen im Alter sicher fortbewegen können und um den längeren Anpassungszeiten zwischen hell und dunkel erfolgreich entgegenzuwirken.

Was verstehen Sie unter «selbstbestimmtes Alter»?
Gräfensteiner: Spätestens ab dem Pensionsalter wird die Wohnung zum zentralen Lebensmittelpunkt. Dabei wünschen sich die meisten Seniorinnen und Senioren, möglichst lange in den eigenen vier Wänden selbstständig zu zweit oder alleine zu leben. Die gewohnte Umgebung bietet Geborgenheit, Erinnerungen und eine gewohnte «Heimat». Obwohl diese Wohnform für viele Menschen über eine lange Zeit passend ist, bleibt sie es oft nicht für das ganze Leben. Spätestens mit Eintritt einer Pflegebedürftigkeit, die über die häuslichen Betreuungsmöglichkeiten hinausgeht, werden oftmals Umbaumassnahmen für ein altersgerechtes Wohnen im eigenen Haus oder in der eigenen Wohnung notwendig.

Welches Projekt im Health-Bereich war für Sie persönlich das Spannendste?
Gräfensteiner: Das internationale Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien, das biomedizinische Grundlagenforschung betreibt, ist für mich ein herausragendes Projekt. Mit dem Neubau schliesst das IMP architektonisch zu anderen führenden Forschungseinrichtungen weltweit auf. Funktionalität und Design wurden geschickt miteinander verknüpft und bieten hohe Flexibilität für modernes Forschen. Das Konzept von ATP Wien, das im Wettbewerb mit dem 1. Preis ausgezeichnet worden ist, zielte zudem darauf ab, Kommunikation und Interaktion zu fördern.

«Die Zufriedenheit der Nutzer ist für uns einwesentlicher Parameter.» Michael Gräfensteiner

Unternehmensprofil ATP

Das Büro ATP architekten ingenieure wurde 1852 gegründet und ist mit etwa 650 Mitarbeitenden an acht europäischen Standorten eines der führenden Büros für Integrale Planung in Europa. Seit 2009 ist man auch in Zürich vertreten. ATP blickt auf 40 Jahre interdisziplinäre Planungserfahrung für Lebenszyklus-orientierte Gebäude zurück. Zu den Spezialgebieten zählen neben dem Gesundheitswesen zum Beispiel auch Produktion und Logistik, Handel, Büro, Wohnbau und Tourismus. Ein gesamtverantwortlicher Projektleiter führt die simultanen Arbeitsprozesse und ist alleiniger Ansprechpartner für den Bauherrn. Dieses integrale Vorgehen ermöglicht eine höhere Qualität der Planung und zeit- und kostenintensive Anpassungen zu einem späteren Zeitpunkt. Im Gegensatz zum traditionellen konsekutiven Planungsprozess, der von Informationsdefiziten geprägt ist, nutzt ATP in seinem Netzwerk alle Synergien des interdisziplinären Wissens vollständig aus.

Michael Gräfensteiner
Bauen für die Gesundheit
Im Bereich öffentliche Zonen zeigt sich die Fassade transparent einladend und lässt Einblicke in das Gebäude zu.
Bauen für die Gesundheit
Das Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie in Wien.
Bauen für die Gesundheit
Bauen für die Gesundheit
Funktionalität und Design wurden geschickt miteinander verknüpft.
Bauen für die Gesundheit
Das Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie in Wien betreibt biomedizinische Grundlagenforschung.
Bauen für die Gesundheit
(Visited 25 times, 1 visits today)

Weitere Beiträge zum Thema